Robin Alexanders Buch zu den Ereignissen um die Flüchtlingskrise habe ich gelesen. Ich fand es interessant. Ein nüchterner Bericht, ungeschönt und sachlich. Wie ich es eben mag. Es ist eine Weile her, dass ich es gelesen habe aber ich weiß noch, dass mich eigentlich nur der Titel gestört hat, denn politisches Handeln ist meiner Meinung nach so gut wie immer von irgendwas getrieben und das sind leider in der Regel Einflüsse und Umstände von außen und viel zu selten eigene Grundsätze, geschweigedenn Parteiprogramme. Die Gestaltungsspielräume von Regierungen sind meiner Überzeugung nach immer wesentlich kleiner, als sich das der durchschnittliche Wähler so vorstellen kann. Oder will.
Diesen Umstand hat der Titel, der so tut, als sei die Situation 2015 in dieser Hinsicht irgendwas Besonderes gewesen und – abgesehen vom Ausmaß der Flüchtlingskrise – nicht der ganz normale Wahnsinn, leider verdeckt. Das Buch selbst hat seine Stärke aber darin, zu erklären, wie Geschehnisse und Entscheidungen ineinandergriffen. Sowas können Sachbücher gut.
Nicht so gut können sowas Spielfilme und normalerweise gar nicht kann sowas das Unterhaltungsmedium Fernsehen. Leider hat das Fernsehen aus dem guten und sachlichen Buch trotzdem ein moralisierendes Gut-gegen-Böse-o8/15-Fernsehspiel machen müssen.
Okay, es hat auch seine guten Seiten. Ich finde es fast unterhaltsam, wie präzise die damaligen Spitzenpolitiker optisch getroffen werden konnten. Bei Altmaier haben sie vielleicht sogar den echten Altmaier genommen, man weiß es nicht…
Auch gut und wie in echt dargestellt werden die bekloppten rechtsextremen Demonstranten mit ihrem hysterischen Gekreische. Diese Knallköpfe kriegen damit genau das filmische Denkmal, dass sie verdient haben und stehen bis in alle Ewigkeit als Vollidioten da, ähnlich wie dieser Typ im Deutschland-Trikot aus den 90ern mit seiner vollgepissten Hose.
Der Film glänzt auch damit, wie er die damalige Problematik und die politische Gemengelage insgesamt akkurat und nachvollziehbar darstellt.
Und ich fand es wirklich lustig, der Bundeskanzlerin im Urlaub zuzusehen. Oder wie sie sich nach Feierabend mit ihrem iPad wie ein kleiner Asi auf ihrem Sofa lümmelt.
Aber hier gehen die Probleme des Films auch schon los. Denn während Merkel so menschlich und durchschnittlich und normalbürgerlich dargestellt wird, dass es schon fast weh tut, wie einem mit dem Holzhammer eingeprügelt werden soll, dass sie die einzig normale Person in diesem ganzen Politzirkus sei, so stereotypisch intrigant, notorisch bösartig und unmenschlich werden durchweg ihre Gegner dargestellt.
Die viel zu offen zur Schau getragene und völlig von der des Buches abweichende Botschaft des Films ist: Alle dachten nur an sich, nur Merkel, die blieb Mensch.
Und ich frage mich, ob das wirklich nötig getan hätte. Denn diese Botschaft wäre auch dann einigermaßen rübergekommen, hätte man glaubwürdig und realistisch vermittelt, was da so gelaufen ist. Nur ist das Motiv für Merkel nie Menschlichkeit gewesen.
Im Film werden Söder, Gabriel, Orban und viele andere als kühl und berechnend dargestellt. Als Leute, die ihre eigene Karriere im Blick haben bei allem, was sie tun.
Der Film will uns weis machen, dass das bei Merkel anders sei und das ist einfach Unsinn. Auch Merkel stand damals in sowas wie dem Vorwahlkampf zur nächsten Bundestagswahl und war damals wie heute in der CDU, geschweige denn in der Union alles andere als unumstritten.
Im Film sagt eine sichtlich erzürnte Merkel Sätze wie „kann man nicht mal irgendwann kapieren, dass ich mich um Lösungen bemühe, statt überall der Erste zu sein?“ – zu ihrem Mann. Am Frühstückstisch.
Die arme Merkel, die einzige Politikerin in ganz Europa, die sich um Lösungen kümmert, statt um ihre Karriere. What the Fuck?
Das ist das Problem am Fernsehen: Es verträgt offenbar keine Grautöne. Es muss immer maximal polarisieren. Immer muss es um offensichtlich Gut gegen offensichtlich Böse gehen. Immer wird die Mainstreammeinung genommen und filmisch auf Biegen und Brechen bestätigt.
Das ödet mich so an, dass ich um Fernsehfilme normalerweise einen großen Bogen mache. Hier hätte es aber wirklich gar nicht nötig getan. Das man es trotzdem meinte tun zu müssen, ärgert mich.
Es ärgert mich, weil es Wasser auf die Mühlen der AFD ist. Die die ARD damit einmal mehr als „Staatsfunk“ hinstellen kann – und man, wenn man ehrlich ist, auch gar nicht anders kann, als ihnen diesen Punkt zuzugestehen.
Es ärgert mich, weil der Film Merkels Politik als alternativlos darstellt und auch darin der AFD Recht gibt, die sich eben als Alternative dazu inszeniert hat.
Es ärgert mich, weil eine immer noch amtierende Bundeskanzlerin als übermenschlich dargestellt wird. Im Jahr vor einer Bundestagswahl.
Es ärgert mich, weil Orban als genau der clevere Stratege und Erfolgsmensch hingestellt wird, der sich auf voller Linie durchgesetzt hat. Das entspricht haargenau dem Bild, das Rechtsextreme von dem Mann haben und für das sie ihn bewundern.
Vor allem ärgert mich, dass das völlig überflüssig war, weil eine sachlichere, mehr am Buch orientierte Darstellung eigentlich dramatisch genug gewesen wäre, aber weder einzelne Figuren zu unglaubwürdigen Superhelden stilisiert hätte, noch Leute wie Seehofer oder Söder oder Gabriel zu epischen Superschurken gemacht.
Der Job wäre eigentlich gewesen, die Begleitumstände zu zeigen, wie sie waren und alle Handelnden mit ihren unterschiedlichen Strategien und Agenden, sowie eben das, was aus dem Zusammenspiel all dieser Stränge dann geworden ist.
Das war offenbar kein Job, den das Unterhaltungsmedium Fernsehen vernünftig erledigen wollte oder konnte.
Die Getriebenen kann, wer will, noch bis 15. Juli 2020 hier abrufen.